Wie ziehe ich den Magic Circle um die 7G-Kampagne?
Der Magic Circle ist ein Konzept aus der Play-Theorie, das darauf abzielt, deutlich zu machen, dass das Spiel nicht mit dem ersten Würfelwurf beginnt und nicht nach dem Schließen des Abenteuerbuches aufhört. Zum Spiel gehören die spielenden Personen, der Ort an dem sie spielen, die Umstände unter denen sie spielen, die Vorbereitung und die Träume, die man nach dem Spiel hat. Schlussendlich alles, was so nicht gewesen wäre, ohne das Spiel. Irgendwo muss man natürlich eine Grenze ziehen und sich auch abgrenzen von einer Definition des Magic Circles, die einen nicht weiterbringt in einer Analyse.

Ich schaue daher im Folgenden nur darauf, was wir in unseren Sessions – also der Zeit, in der wir zum Spielen zusammenkommen – außerhalb der effektiven Spielzeit gemacht haben. Das ist Zeit a) ohne die das Spielen an sich nicht möglich wäre (etwa Charaktererschaffung) oder b) nur halb so schön wäre (gemeinsame Pausen). Ich kategorisiere die Aktivitäten und stelle vor, was wir in dieser Zeit gemacht haben und was sich daraus eventuell für andere Gruppen ableiten lässt.
Für unsere Spielrunde habe ich nicht nur die effektive Spielzeit notiert, sondern auch die Zeit drumherum statistisch grob erfasst. Die effektive Spielzeit umfasst an einem normalen Spieltermin das Spielen an sich, aber auch den Recap zu Beginn der Session und ein gemeinsames Besprechen, was etwa die Charaktere zwischen den aktuellen und dem vorherigen Abenteuer gemacht haben.

Im Recap gehen wir gemeinsam durch die Kapitel der letzten Session durch und tragen mündlich zusammen, was wir in Erinnerung behalten haben. Das zählt bei mir zur effektiven Spielzeit. Üblicherweise braucht der Recap weniger als 30 Minuten. Ich habe neben der Kapitelübersicht dafür meist als Power Point mögliche Bilder der wichtigsten Orte und Meisterpersonen zur Hand. Dazu habe ich die Übersicht der am letzten Spieltermin beantworteten Session-Fragen parat und teile diese auf einem Beamer als Erinnerungsstütze.
Die Besprechung, was zwischen den Abenteuern erlebt wurde – auch in anderen Systemen unter dem Begriff “Downtime” strukturell eingebaut, haben wir immer ein bisschen unterschiedlich gemacht. Darauf bin ich an anderen Stellen detaillierter eingehen. Meist hatten wir dafür jedoch sogenannte Love Letters in Gebrauch, also von mir vorbereitete kleine Ausfülltexte oder Prompt-Vorgaben, die den Spielenden helfen, konsistent und dennoch individuell erzählen zu können, was passiert ist. Also etwa: “welche potenziellen Verbündeten im Kampf gegen den Dämonenmeister hast du getroffen? Was erfreut dich an dem Treffen oder Ergebnis? Welcher Teil oder welches Ergebnis lässt dich mit Sorge zurück?”

Nicht Teil der effektiven Spielzeit waren hingegen folgende Aspekte des Zusammenkommens. Ich unterteile sie in Soziales Zusammensein und in Meta-Spiel.
Zum sozialen Zusammensein im Rahmen einer Session gehören:
- Welcome
- Orga
- Aufräumen / Aufbauen
- Essen
- Entspannung
Unter Welcome verstehen wir den formellen Beginn der Session. Wir vergewissern uns, dass es uns gut geht, und dass wir bereit sind miteinander intensive Stunden zu verbringen und Lust haben zu spielen. Manchmal ist der Beginn rituell: wir setzen uns hin, zünden Kerzen an, oder dimmen das Licht, wir machen ein Lied an, das uns bereits einstimmt auf die Session. Mal ist der Welcome-Teil eher diffus und erst nach und nach trudeln alle gedanklich ein. Ein Welcome dauert unter einer halben Stunde.
Orga-Fragen zu besprechen sind für komplette Wochenenden ebenfalls von Relevanz: wir besprechen, ob wir alles haben, wer für welche Mahlzeit zuständig ist, wo Vorräte zu finden sind, wie wir die Pausen aufteilen wollen und bis wann wir nachts spielen.
Aufräumen und Aufbauen sind oft ein Gewusel, wenn jede schaut, wie sie sich einbringen kann, dass der Spielraum bereit ist, uns zu beherbergen. Dafür werden Couches und Tische verrückt, Snacks und Getränke bereit gestellt und Spielmaterial sortiert. Nach der Session muss logischerweise alles wieder in seinen Ursprungszustand versetzt werden. Der Gastgeber hat hier meist alle Hände voll zu tun – mit ein Grund, warum ich als SL lieber woanders spiele, um zumindest diese “Leitungsfunktion” nicht auch noch einnehmen zu müssen.
Zusammen zu essen tut gut und – ganz ehrlich – zwingt uns auch manchmal glücklicherweise dazu nicht einfach durchzuspielen, wenn die Spannung zu groß ist. Oft zieht sich eine oder zwei Personen zum Kochen zurück, während die anderen sich so etwas sortieren und wir im Anschluss dann zusammen essen können.

Unter Zeit zur Entspannung verstehen wir die Zeit, die wir vor Ort noch zusammen sind, ohne zu spielen oder uns mit dem Spiel selbst zu befassen. Das sind die Pausen, die Zeit nachts, wenn wir noch zusammensitzen, aber nicht mehr Energie oder Lust zum Weiterspielen haben oder wenn wir noch nicht oder nicht mehr vollständig sind. Manchmal gleitet die Zeit zur Entspannung dann doch in spielrelevantes Gebiet ab, weil doch alle zu begeistert sind, um nicht doch wieder “War Stories” auszupacken, sich also zu Erlebnissen des Spieltages auszutauschen oder eine Mechanik oder Regel zu diskutieren. Dann klassifiziere ich in meiner Statistik die Zeit allerdings um zu einer passenden Kategorie im Bereich Meta-Zeit.
Meta-Zeit
- Erwartungsmanagement
- Retro
- Regeldiskussion
- Charakter- und Gruppenentwicklung
Jede Session beginnen wir mit einem Erwartungsmanagement. Dafür machen wir eine Runde, in der jeder formuliert, was er oder sie gerne in der Session erleben möchte. Das kann etwas sehr Konkretes sein, dass man eine neue Fähigkeit oder ein magisches Artefakt im Einsatz sehen möchte, oder etwas eher Abstraktes, wie, dass man hofft, sich zu gruseln oder weniger im Mittelpunkt zu stehen. Teil des Erwartungsmanagements ist auch das Durchgehen der Lines & Veils. Bekannt als Safety-Tool, sind die Lines & Veils für eine eingespielte Gruppe auch immer ein guter Kalibrierungsmechanismus: wie blutrünstig oder abgründig hätten wir es denn heute gerne? Als SL nutze ich meine Stimme beim Erwartungsmanagement auch dafür, auszudrücken, was ich von den Spielenden erhoffe: welcher Spielteil wird etwas lockerer, bei welchem ist es mir wichtig, dass wir alle mit ganzer Ernsthaftigkeit dabei sind? Welche Art von Szenen und Stimmungen sind heute generell zu erwarten?

Auch teilen wir zu Beginn der Session auf, wer sich im Spiel um welche Ebene der Verantwortung kümmert: Time Keeper, die schaut, dass wir auf Pausen achten, Snack-Support, die sich darum kümmert, dass die Vorräte am Tisch nicht alle gehen, Safety, die schaut, dass es allen gut geht und so weiter. Darüber habe ich mehr in dem Blog-Artikel “Sharing the Cognitive Load” geschrieben. Darin ist auch die hilfreiche Erwartungsmanagement-Methode “CATS” (Content, Aim, Tone, Subject Matter) beschrieben.
Nach der Session kümmern wir uns um einen Debrief bzw. machen ein Retro, eine Retrospektive auf die Session. Bei Sessions, die über mehrere Tage gehen, machen wir das jeden Abend zum Abschluss des Spieltages. Beim Retro gehen wir die Session-Fragen durch und vergeben anhand dieser die Abenteuerpunkte für die ganze Gruppe. Wir besprechen, was gut gelaufen ist, und was besser hätte gemacht werden können. Dabei sind wir direkt nach der Session, wenn möglich, generös. Wenn etwas wirklich schwer im Magen liegt und raus muss, dann ist das Retro der richtige Ort.

Kann etwas warten, dann bitte ich darum, dass wir das erst außerhalb der eigentlichen Session, etwa zum Abschluss des Wochenendes, oder erst nach dem Spieltag besprechen. Dann gab es Zeit, dass sich Dinge setzen können, eine erste Aufregung gelegt hat, und wir konstruktiv an einer Verbesserung der Situation arbeiten können. Zur Retro gehört zuletzt, sich zu überlegen, inwiefern die Session den eigenen Helden hinsichtlich seiner persönlichen Hero’s Journey geprägt hat – also welche Situation oder Veränderung ihn im epischen Rahmen der Kampagne erinnerungswürdig war. Dafür haben wir das hier in den Beiträgen zu den Abenteuern gepostete Tabellen.

Regeldiskussionen hatten wir zu der Zeit der Nutzung der DSA5-Regeln deutlich häufiger. Das macht ein crunchigeres Spielsystem nun mal aus, dass es immer wieder auch mal Fragen gibt, wie wir etwas handhaben wollen. Diese versuchen wir aus dem Spiel herauszuhalten, und stattdessen eigene Slots an einem Wochenende dafür zu reservieren. Hin und wieder kann aber auch ein Retro oder die Entspannungszeit in eine Regeldiskussion abdriften. Ob wir dann diskutieren, ob ein Zauber uns zu overpowered vorkommt oder wir überlegen, eine Optionalregel einzuführen, oder abzuschaffen, das ist recht facettenreich.
Regeldiskussionen hatten wir aber natürlich auch bei Powered by Aventurien. Hier hatte vor allem ich Interesse an einem Feedback zu speziellen Mechanismen und hatte dafür schon bei der Vorbereitung unserer Spielzeit einen Slot reserviert – meist zu Beginn der Spielzeit, so dass wir Diskussions-Ergebnisse direkt anwenden können.

Ich wollte dann etwa geklärt wissen, ob sich das System gefährlich genug anfühlt und was wir mechanisch dafür anpassen sollten. Mir macht das Freude, gemeinsam mit den Spielenden ein System gemeinsam zu verbessern, die unterschiedlichen Bedürfnisse und Erfahrungen zu hören und zu versuchen in Einklang miteinander zu bringen. So haben wir etwa gemeinsam beschlossen, dass Schaden, egal ob Freund oder Feind, grundsätzlich explodiert. Das bedeutet, dass entweder beim höchsten oder niedrigsten Würfelergebnis eines Würfels dieser nochmal gewürfelt wird, und die Summe gebildet wird. So kann jeder Schaden theoretisch tödlich sein.
Immer wieder haben wir ausführlich Zeit eingebaut, um uns mit der Entwicklung der Charaktere und der Gruppe als Ganzes zu befassen. Insbesondere die Dimension der Gruppe, kann schnell aus dem Blick geraten. Wenn wir uns also Zeit reserviert haben zum Review der Gruppendynamik, dann wollten wir wissen: hat jeder das Gefühl in die Gruppe eingebunden zu sein? Ist es konsistent, wie wir die Rollenverteilung in der Gruppe sehen? Wie ist unser Verständnis davon, welches Bild die Gruppe in Aventurien abgibt? Macht es Sinn, dass die Gruppe genau in dieser Konstellation zusammen unterwegs ist?

Beispielsweise haben wir uns gefragt, ob die Gezeichneten in einfacher Gesellschaft eher gefürchtet oder verehrt und umgarnt werden. Natürlich kann ich als SL so etwas auch festlegen und im Spiel etablieren. Aber da wir kollaborativ erzählen und transparent spielen, war es mir oft lieber, bei solchen Fragen, jedermanns Verständnis einzuholen und auf alle Ansichten aufzubauen.

In die Zeit der Charakterentwicklung fällt natürlich auch die Zeit, die wir insbesondere in der ersten Session, einem sehr langen gemeinsamen Wochenende, für die Charaktererschaffung verbracht haben. Davon haben wir 11 Stunden mit gemeinsamer Charakter- und Gruppenerschaffung verbracht. Das war ein Drittel der gesamten gemeinsamen Zeit an dem Wochenende. In den folgenden Sessions hat die Zeit zur Entwicklung immer noch 5% – 10% der Zeit ausgemacht, also 2 bis 5 Stunden an den Wochenend-Sessions. Zur Charakterentwicklung gehörte dann das klassische Steigern durch Gurps-sches Ausgeben von Abenteuerpunkten, wie es uns seit DSA4 vertraut war. In dieser Zeit haben wir uns vielleicht auch mal um Ausrüstung gekümmert, diese haben wir aber eigentlich größtenteils nicht festgelegt oder ausgespielt. Man hat dabei, was man üblicherweise dabei hat und entscheidet das im Moment, ganz ohne Ressource (wie es etwa Blades in the Dark tun würde).
Insgesamt kommen damit zu den 306 Stunden effektive Spielzeit noch 52 Stunden Zeit für Meta-Aktivitäten wie Regeldiskussion und Retros genutzt, dazu für Gruppenentwicklung 35 Stunden genutzt. Dazu haben wir 131 Stunden mit sozialen Aktivitäten verbracht, also der Vorbereitung, den gemeinsam verbrachten Pausen etc. Die effektive Spielzeit macht also nur 60% der tatsächlich gemeinsam verbrachten Zeit aus. Eigentlich hat uns also die Kampagne nicht 305 Stunden, sondern 523 schöne gemeinsame Stunden beschert.

Dabei ist festzuhalten, dass wir beim Online-Spiel so gut wie keine soziale Zeit miteinander verbringen. Ihr Anteil ist bei Online-Sessions nur 5%, bei vor-Ort-Treffen hingegen 30%. Während man vor Ort den Spielort verlässt, um gemeinsam in den Garten zu gehen oder in der Küche essen vorzubereiten, so verlässt man online den Bildschirm ohne zusammenzubleiben, sondern komplett das Zusammensein zu unterbrechen. Ich denke, das ist ein wesentlicher Faktor, warum sich Online-Sessions so anders anfühlen. Das ist dabei ganz ohne Wertung zu verstehen: für Manche ist die komplette Pause, die eine Online-Session ermöglicht, genau das Richtige. Andere mögen gerade den sozialen Austausch zwischen dem Spiel. Selten haben bei Online-Spieltagen Einzelne sich miteinander auch in Pausen etwa in die Küche mitgenommen und so zu quatschen. Als Gesamtgruppe haben wir das aber grundsätzlich nicht gemacht.
